Mutterkühe erkennen und sicher begegnen

Im Alpweidegebiet gibt es immer mehr Mutterkuhherden. Führen Wanderwege durch solche Weiden, birgt das Konfliktsituationen. Wie sich Wandernde am besten verhalten und was die Landwirtschaft präventiv tut, zeigt das neue Kursangebot der Luzerner Wanderwege.

 

Dieter von Muralt erläutert das Verhalten der Tiere.

«Haben Sie Respekt, keine Angst», ist die Botschaft von Kursleiter Dieter von Muralt (BBZN) und Heinz Feldmann (BUL). Springt eine Kuhherde auf einen zu, ist das leichter gesagt als getan. «Für die Einschätzung der Gefahr muss man zuerst unterscheiden, was da kommt. Bei ‘springenden’ Tieren handelt es sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit um Rinder und Kälber. Sie haben einen ausgeprägten Spieltrieb und sind neugierig. Manchmal verfolgen sie Wandernde schnell und hartnäckig, sie stellen aber keine Bedrohung dar. Bleiben Sie ruhig und gehen Sie langsam weiter», empfiehlt Dieter von Muralt. Dasselbe gilt für Begegnungen mit Milchkühen, welche man durch ihre grossen Euter und die Abwesenheit von Kälbern erkennt. Auch sie sind für Menschen nicht gefährlich. Trotzdem rät der Experte explizit von Berührungen und dem Füttern der Tiere ab.

Das Erkennen und Unterscheiden der Kühe ist wichtig, denn Mutterkühe beschützen ihre Kälber und stellen deshalb potenziell eine Gefahr für Wandernde dar. Je jünger das Kalb, umso stärker ist das Schutzverhalten der Mutterkuh. Etwa fünf Unfälle pro Jahr werden dem BUL gemeldet und von Heinz Feldmann untersucht. Die Dunkelziffer ist vermutlich gross.

 

Heinz Feldmann zeigt Konfliktsituationen am Wanderweg und sichere Lösungen seitens Wandernden sowie der Landwirtschaft.


Ruhe und Distanz
Auf Bildern und Videos sehen die 15 Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer das Verhalten von bedrängten Mutterkuhherden. Problematisch ist, wenn die Tiere überrascht werden oder Menschen auf ihr Durchgangsrecht auf dem Wanderweg durch die Herde beharren. Dann entsteht schnell eine Dynamik. Wichtig ist, die Signale der Kühe aufmerksam zu beobachten, die ‘Tiersprache’ zu lernen. Reckt eine Kuh den Hals und stellt die Ohren auf, verfolgt sie das Geschehen wachsam. Senkt sie den Kopf mit Stirn voraus, bedeutet das eine Drohung. Mit steigender Intensität beginnt sie zu Schnauben, Brüllen und Scharren. Damit es nicht so weit kommt, umgeht man die Mutterkuhherde frühzeitig und weiträumig. Ist das geländebedingt nicht möglich, geht man ruhig zurück und gewinnt Abstand. «Lassen Sie den Tieren Zeit, vielleicht hat sich die Herde nach einer Viertelstunde beruhigt oder verschoben», erklärt der Sicherheitsfachmann.

Hunde zu Hause lassen
Der grösste Risikofaktor sind Hunde. «Für die Kühe stellen Hunde und Wölfe dieselbe Gefahr dar. Sie sehen ihre Kälber bedroht und greifen den Vierbeiner sehr wahrscheinlich an», berichtet Heinz Feldmann aus Erfahrung und warnt: «Den Hund auf die Arme zu nehmen oder in der Jacke zu verstecken ist eine sehr schlechte Idee. Die Kühe riechen sehr gut.» Die Empfehlung auf den Informationstafeln im Gelände lautet, den Hund an der kurzen Leine zu führen und im Falle einer Konfliktsituation sofort von der Leine zu lösen. Aber am besten sei es, bei Wanderungen im Alpweidegebiet den Hund nicht mitzunehmen. Gemeinsame Touren solle man vor oder nach der Alpsaison oder im Tal unternehmen.

 

Ausgezäunter Wanderweg mit Informationstafel bei der Alp Schwand ob Sörenberg.


Konfliktstellen werden identifiziert
Die Verantwortung, dass es zu keinem Unfall zwischen Rindvieh und Wandernden kommt, liegt bei den Freizeitsuchenden und der Landwirtschaft gleichermassen. Mittels einer langen Checkliste müssen die Viehhalter:innen beispielsweise vor der Saison belegen, alle möglichen Konfliktsituationen geprüft und mit entsprechenden Massnahmen entschärft zu haben.

Pirmin Schöpfer, Mutterkuhhalter auf der Alp Schwand ob Sörenberg, hat den beliebten und frequentierten Wanderweg oberhalb seiner Scheune ausgezäunt. Das ist nicht die Universallösung, aber nach einem Vorfall vor über zehn Jahren sei dies die sicherste Option für diesen Wegabschnitt. Der Zaun besteht aus zwei Drähten, damit die Menschen erkennen, dass diese Weide den Tieren vorbehalten ist. «Als Älpler lerne ich aus den Vorkommnissen und nehme einen Zusatzaufwand für die Sicherheit in Kauf. Die Frequenz des Freizeitverkehrs steigt stetig und stellt unseren Betrieb vor Herausforderungen. Wir müssen genau planen, wann und wo wir die Tiere weiden lassen. Naturgemäss können wir das Vieh nicht ständig im Blick haben und sind auf das Respektieren der Verhaltensregeln angewiesen», so Primin Schöpfer.

Dynamik vermeiden
Zur Demonstration der ‘Kräfteverhältnisse’ steigt Schöpfer in die Box einer Mutterkuh mit ihrem zwei Tage jungen Kalb. Obwohl sich der Älpler und die Mutterkuh gut kennen, signalisiert die Kuh dem Bauern schnell, dass er ihrem Kalb zu nahe gekommen ist. Es geht alles sehr schnell, Pirmin Schöpfer zieht sich sofort aus der Situation zurück und steigt über das Gatter. Die Demonstration findet aufgrund der regennassen Weiden im Stall statt, ist aber nicht minder eindrücklich. Die Botschaft der Experten ist klar: «Lassen Sie sich nie auf ein Kräftemessen ein. Sie verlieren», sagt Heinz Feldmann zum Abschluss und Dieter von Muralt ergänzt: «Mit Ruhe, Abstand und Zeit vermeiden Sie eine solche Dynamik, fassen Vertrauen und gestalten die Begegnungen mit Mutterkühen sicher.»

Text und Bilder: Ramona Fischer

 

Pirmin Schöpfer im Stall bei seiner Mutterkuh mit dem jungen Kalb.